Über das Kleine Blutbild

Als ich das erste Mal mit dem Kleinen Blutbild zusammentraf, hatte ich mir gerade selbst einige frische Wunden geschlagen. Ich stand kurz vor dem Abflug nach Nordspanien, wo ich darauf hoffte, durch eine Pilgerreise eben diese Wunden in Ruhe lecken zu können. Der tragbare Blutbild- Koffer erschien mir daher für meine Situation als recht passend; dass jemand mich so selbstlos an seinen Verletzungen teilhaben liess, tröstet mich. Es kam mir so vor, als sei dieses Blut auch ein bisschen für mich vergossen worden.

Kurz vor der Abreise zog es mich noch ein weiteres Mal in die Ausstellung und ich stellte fest, dass sich das Blutbild verändert hatte. Auch mein Zustand hatte sich ein wenig geändert, so waren wir zwei wieder beieinander.
 


Auf meiner Wanderschaft hatte ich das Bild zwar nicht direkt vor Augen, seinen Koffer beziehungsweise mein Packerl, spürte ich allerdings sehr deutlich auf meinem Rücken. Dadurch, dass ich beim Gehen niemanden zum Reden hatte, blieb mir alle Zeit der Welt zum (Weiter) denken. Irgendwann kam mir dabei ein sehr geläufiger Satz in den Sinn: "Das ist mein Blut, das für Euch und für alle vergossen wird.... tut dies zu meinem Gedächtnis".

Ich kam auf die Idee, jeden Tag einem Menschen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis zu widmen. Ich dachte besonders an ihn oder sie, pflückte unterwegs ein Kräutlein oder eine Blume und legte sie am Abend in der Kirche am Marienaltar ab.
 


Die Spanier lehrten mich in der folgenden Zeit, dass es überhaupt nichts Ungewöhnliches ist, seinen Schmerz, seine Wunden, sein Herzblut jemandem - sogar einer Fremden, zu offenbaren und zu teilen. Viele Einheimische fragten mich nach dem Grund meiner Pilgerschaft und baten mich im Anschluß, für sie mitzupilgern und am Ziel für sie zu beten. Manche machten mir dazu ein Geschenk:
Ein Jesusbild, eine Flasche Rotwein oder ein Stück Handkäs. Ich wurde also immer reicher.

Wenn ich heute das Kleine Blutbild betrachte, verhält es sich damit wie mit einer Seite aus einem alten Tagebuch: Das Papier ist ein wenig verfärbt, die Tinte verblasst, die Zeit hat ihre Spur hinterlassen. Ich lese das Datum, die Zeilen und in meinen Bauch schleicht sich das Gefühl von damals, als ich den Eintrag schrieb. Das Gefühl ist sofort wieder präsent und trotzdem hat es sich verändert. Weil ich in der Zwischenzeit gelebt habe.

Adelheid Dürr
 
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kleines Blutbild

Holz, Glas, Blut, Kunststoff
60 x 70 x 14 cm

2001